Ich heiße Alexandra und hatte eine verhaltene Fehlgeburt in der 10. Schwangerschaftswoche. Entgegen der Empfehlung der Ärzte habe ich mich für eine kleine Geburt zuhause entschieden. Ich habe mir das Recht erkämpft, mich in Ruhe verabschieden und unser Baby beerdigen zu dürfen. Betroffene Eltern haben eine Wahl und genau deshalb möchte ich heute hier schreiben!

fehlgeburt ausschabung

Die Geburt meiner Tochter war ein sehr einschneidendes und traumatisches Erlebnis für mich. 5 Tage über Termin wurde entschieden, dass unser Baby keinen weiteren Vorteil davon habe, weiter in meinem Bauch zu bleiben, deshalb wurde mit Tabletten eingeleitet. Ab da war ich gefangen in der Maschinerie mit dem Ziel, dieses Kind so schnell wie möglich aus meinem Körper zu befördern. Dieser Verlust der Kontrolle hat unsere Tochter fast mit dem Leben bezahlt. Bis heute frage ich mich, warum ich das zugelassen habe und weiß darauf nur eine Antwort: Es war unsere erste Schwangerschaft, das erste Kind. Wir wussten nicht, wie so eine Geburt abläuft, wir haben darauf vertraut, dass in unserem Sinne und zu unserem Wohl gehandelt wird. Wir hatten noch nicht das Selbstvertrauen, früher einzuschreiten und das längst überfällige „Nein!“ auszusprechen. Umso dankbarer sind wir heute, dass wir trotz dieses Erlebnisses eine gesunde und aufgeweckte Tochter haben, die unser Leben täglich bereichert.

 

15.12.2016, knapp zwei Jahre später:

Das + und die Zahlen 1-2 stehen ganz deutlich auf dem Schwangerschaftstest. Wir freuen uns riesig, wir werden noch einmal Eltern. Meine erste Anlaufstelle des Tages ist die Apotheke, in der ich mir ein Folsäure-Präparat besorge, was mein Mann belächelt. Doch ich will alles richtig machen. Vor Weihnachten einen Termin beim Frauenarzt zu bekommen ist unmöglich, dennoch erzählen wir unseren Eltern und Geschwistern unter dem Tannenbaum, dass unsere Tochter eine große Schwester wird.

erster frauenarzttermin schwangerschaft meilensteinkarten

03.01.2017:

Endlich haben wir den heiß ersehnten Termin bei meiner Frauenärztin und staunen über das kleine Gummibärchen. „Eine intakte Schwangerschaft“, die schönsten drei Worte, die man uns an diesem Tag sagen kann. Ich sehe das kleine Herzchen schlagen, wir sind in der 7. Schwangerschaftswoche, der errechnete Termin ist Ende August. Glücklich fotografiere ich das erste Ultraschallbild ab und schicke es unseren Eltern. Zuhause lege ich die Hände meiner Tochter auf meinen Bauch und sage ihr, dass wir ein Baby bekommen. Ich rufe meine Hebamme an, die mich vor und nach der Geburt unserer Tochter betreut hat und freue mich, dass sie uns auch dieses Mal wieder zur Seite stehen wird.

 

16.01.2017:

Der Mutterpass wird angelegt, wieder darf ich unser kleines Wunder auf dem Ultraschallmonitor betrachten. Aus dem Gummibärchen wird deutlich erkennbar ein kleiner Mensch. Unser Baby! Der Bauchzwerg macht sich mittlerweile bemerkbar, ich habe richtigen Heißhunger und mein Mann macht mir liebevoll mitten in der Nacht Brote und bringt sie mir ans Bett oder ans Sofa. Im Vergleich zur ersten Schwangerschaft geht es mir blendend, nur gelegentlich ist mir etwas flau im Magen.

 

23.01.2017:

Wir freuen wir uns auf den 2. Geburtstag unserer Tochter am Wochenende. Wir haben einige ihrer kleinen Freunde eingeladen. Am Morgen ruft mich mein Chef ins Büro und da wir nun sowieso beieinander sind, erzähle ich ihm, dass wir Ende August wieder Eltern werden. Er selbst ist vor kurzem erneut Vater geworden. Danach erfährt es mein kleines Team. Und trotz der freudigen Gesichter um mich herum fühle ich mich komisch, als wenn ich nicht die Wahrheit sagen würde. Doch es wird Zeit meine Tochter von der Betreuung abzuholen, also verdränge ich das ungute Gefühl. Komische Schwangerschaftshormone.

 

24.01.2017:

Ich erwache mit leichten Bauchkrämpfen, ich habe Schmierblutungen mit bräunlichem, alten Blut. Ich fühle die Panik in mir aufsteigen und wecke meinen Mann. Danach gehe ich erneut auf die Toilette, aber es blutet noch immer, wenn auch sehr verhalten. Ich versuche meinen Frauenarzt zu erreichen, aber natürlich ist um 07:00 Uhr morgens noch niemand in der Praxis. Während ich mich anziehe und zum Arzt fahre, bringt mein Mann unsere Tochter in die Betreuung. Vollkommen in Trance fahre ich zur Praxis, während mir immer schlechter vor Angst wird. Ich will unser Baby nicht verlieren. Ich erkläre der Arzthelferin, warum ich hier bin und werde gebeten im Wartezimmer Platz zu nehmen. Dort sitze ich, bete und hoffe, dass es ein falscher Alarm ist. „Bitte lieber Gott, lass mich mein Baby behalten…“. Ich streichle über meinen kaum vorhandenen Babybauch und versuche mich zu beherrschen. Als ich aufgerufen werde, zittere ich vor Angst. Die Ärztin fragt nach meinen Beschwerden und macht einen Ultraschall. Bevor sie die nächsten grausamen Worte ausspricht, weiß ich bereits, dass es zu spät ist, ich sehe es an ihrem Gesichtsausdruck. „Ich habe keine guten Nachrichten für Sie, ich sehe keinen Herzschlag mehr.“ Ich weine, ich schreie, ich frage sie, ob sie sich ganz sicher ist. Noch während ich auf dem Stuhl sitze, versucht sie telefonisch einen OP-Termin zur Ausschabung zu organisieren. Praktischerweise ist heute Dienstag, der OP-Tag der Gemeinschaftspraxis. Doch da ich zuvor etwas gegessen habe, muss erst mit der Anästhesistin abgeklärt werden, ob der Eingriff heute noch möglich ist. Nachdem ich mich wieder angezogen habe, werde ich in einen anderen Untersuchungsraum geführt. Ich rufe meinen Mann an und sage ihm, dass unser Baby tot ist. Ich rolle mich auf dem Boden zusammen und hoffe, dass das alles nur ein schrecklicher Alptraum ist. Die Ärztin kommt rein und sagt mir, dass unser Kind vermutlich krank gewesen ist und deshalb nun die Natur eingegriffen hat, indem sie die Schwangerschaft beendet hat. „Das ist besser so.“. Ich kann und will ihr nicht zuhören. Endlich betritt mein Mann den Raum und ich kann nicht mehr aufhören zu weinen. Trotzdem redet die Frauenärztin auf uns ein, dass der Embryo ausgeschabt werden muss, dass sie aber erst in der drauf folgenden Woche einen freien OP-Termin in ihrer Praxis haben. Vollkommen fassungslos, dass ich eine Woche lang mit meinem toten Baby im Bauch herum laufen soll, bitten wir um eine Operation in einer anderen Einrichtung. Wie um Himmels Willen soll ich eine ganze Woche mit meinem toten Kind im Bauch verbringen? Was ist mit dem Leichengift? Schließlich bekommen wir einen Termin in der Uniklinik am Freitag. Obwohl ich nur noch nach Hause möchte, erbitten wir die Zweitmeinung einer anderen Ärztin, doch auch sie kann keine Herzaktivität mehr feststellen. Beim Verlassen der Praxis ist eine Frau ans CTG angeschlossen, ich höre die Herztöne ihres Kindes, während das Herz meines Babys aufgehört hat zu schlagen. Mir ist so unsagbar schlecht.

Zuhause verkrieche ich mich auf dem Sofa, während mein Mann alles Weitere organisiert. Meine Schwiegereltern kommen, um sich um unsere Tochter zu kümmern. Wir überlegen, ob wir notfallmäßig direkt in die Klinik fahren, um es schnellstmöglich hinter uns zu bringen. Doch ich bin unendlich erschöpft und obwohl es der reinste Alptraum ist, möchte ich mich in Ruhe von unserem Kind verabschieden. Irgendwann schlafe ich ein und seltsamerweise empfinde ich beim Wegdämmern einen Moment des vollkommenen Friedens, wie wenn sich unser Baby von uns verabschieden würde. Nach dem Aufwachen fällt Zufall mein Blick auf den Mutterpass, in dem noch von der Geburt unserer Tochter die Telefonnummer meiner Hebamme steht und ich beschließe sie anzurufen. Wir vereinbaren einen Termin in ihrer Praxis am nächsten Tag. Zum ersten Mal höre ich von einer Alternative zur Ausschabung und sie sagt mir auch, dass kein Grund zur Eile besteht. Bei vielen Mehrlingsgeburten bildet sich ein ein Fötus in der Frühschwangerschaft zurück und verkümmert, ohne dabei das Geschwisterchen oder die Mutter zu vergiften. Die wichtigste Botschaft dabei ist: Ihr habt alle Zeit der Welt, jetzt die Entscheidung zu treffen, die sich für euch richtig anfühlt.

fehlgeburt-2

Schweren Herzens und mit einem schlechten Gewissen sage die Geburtstagsfeier unserer Tochter ab. Es tut mir so Leid für unseren Sonnenschein. Kurz überlege ich eine Geschichte zu erfinden, doch letztendlich schreibe ich die Wahrheit in den Gruppenchat. In der Zwischenzeit kontaktiere ich eine andere Mama, die ich während des Rückbildungskurses kennengelernt habe. Sie hatte mehrere Fehlgeburten erleben und erleiden müssen. Sie ist die einzige, die ich kenne, die mit diesem Thema offen umgeht. Auch wenn ich mir während des Schreibens mies vorkomme, weil ich sie daran erinnere, bitte ich sie doch um Rat. Am Abend telefonieren wir und sie erzählt mir, dass sie ihre Babys auf dem natürlichen Weg zur Welt gebracht hat und dadurch keine Ausschabung nötig war.

25.01.2017:

Mein Mann hat die restliche Woche Urlaub genommen und begleitet mich zu unserer Hebamme in die Praxis. Sie nimmt uns fest in den Arm und wir erzählen ihr, was wir bisher erlebt haben. Sie erklärt uns, dass mein Körper bereits erkannt hat, dass die Schwangerschaft nicht mehr intakt ist, denn ich blute und nun wird auch klar, dass die Bauchschmerzen Wehen sind. Der Prozess ist bereits in vollem Gang. Wir stimmen mit ihr überein, dass dieser Vorgang für den Körper schonender und vor allem natürlicher als eine Operation ist, denn dieser braucht die Wehen, die Ausscheidung, die Glückshormone, um zu verstehen, dass die Schwangerschaft beendet ist und er mit der Rückbildung beginnen kann. Zudem ist der Grad der Verletzung geringer. Bei der Ausschabung wird großzügig Gewebe entnommen, doch dieses Vorgehen führt auch zu Narbenbildung in der Gebärmutter. Im Gegensatz dazu steht die sogenannte „kleine Geburt“, die sich Tage, sogar mehrere Wochen hinziehen kann.  Wir sprechen auch über mögliche Nachteile dieser Alternative zur Ausschabung. Ich verspreche, sollte ich stärkere Blutungen oder Fieber bekommen, sofort in die Klinik zu fahren. Anschließend zeigt sie mir, wie ich die Gebärmutter ertasten kann, zeigt mir, wo unser Baby genau liegt. Ich kann die leichte Wölbung spüren und später zeige ich sie meinem Mann. Sie schreibt mir eine Teemischung auf, die wehenfördernd sein soll und empfiehlt mir die Bachblüten „Star of Bethlehem“ gegen die Trauer. Wir reden darüber, wie wir unserer Tochter beibringen, dass das Baby nicht mehr da ist. Sie empfiehlt uns zu sagen, dass wir auf das Geschwisterchen noch warten müssen und es dabei egal ist, ob es nun 7 Monate oder noch ein paar mehr sind. Als einige der wenigen Personen sagt sie uns nicht, warum wir unser Baby nicht behalten durften, sie urteilt nicht, sondern sagt uns nur, dass unser Kind bereits gegangen ist und nur noch der Körper da ist, den wir nun loslassen müssen. Zum ersten Mal hören wir, dass wir unser Baby beerdigen dürfen, auch wenn keine Beerdigungspflicht besteht. Unser Baby ist noch zu klein und zu leicht und zählt deshalb für die Behörden nicht als Leiche. Sie empfiehlt uns, wenn wir uns schon einen Namen überlegt haben, diesem dem ungeborenen Kind zu geben und ihn nicht für ein nächstes Kind „aufzuheben“. Wäre unsere Tochter ein Junge geworden, hieße sie heute Raphael. Da diese Schwangerschaft anders war als ihre, war ich innerlich bereits auf einen Jungen eingestellt und so beschließen wir, unser Sternenkind Raphael zu nennen. Die Zeit bei der Hebamme ist heilsam für uns.

Am Nachmittag kontaktiere ich die Abort-Sprechstunde in der Uniklinik und frage nach, ob und wie unser Baby bestattet werden kann. Ich nähe ehrenamtlich für die Sternenkinder und Frühchen dieser Klinik und weiß von meiner Ansprechpartnerin Frau M., dass es auf dem Hauptfriedhof ein Sammelgrab für die Sternenkinder gibt und dass für eine Bestattung dort die Schwangerschaftswoche irrelevant ist. Doch die Dame am anderen Ende hat wohl einen schlechten Tag und macht mir nicht viel Mut. Doch ich will unbedingt verhindern, dass unser Baby im Klinikmüll landet. Für mich ist es nicht einfach nur Abort-Material, sondern unser Kind. Also greife ich wieder zum Hörer und rufe Frau M. an. Sie stellt für mich Nachforschungen an und verspricht sich wieder zu melden. Kurze Zeit später ruft sie zurück und berichtet, dass in der Regel diese Bestattung erst ab der 12. Schwangerschaftswoche angeboten wird, auf ausdrücklichen Wunsch der Eltern aber auch schon eher möglich ist. Wenn wir bei unserem Termin in der Klinik nicht darauf angesprochen werden, sollen wir es von uns aus ansprechen. Sie kann uns sogar schon sagen, wann der Gedenkgottesdienst im Mai ist. Zwei Mal im Jahr findet eine diese Zeremonie mit Beisetzung statt. Solange verbleiben die sterblichen Überreste in der Pathologie, bevor sie wenige Tage vor der Bestattung verbrannt werden. Am Abend nehme ich meine letzten Kräfte zusammen und nähe eine kuschelige Einschlagdecke für mein Baby nach dem Schnittmuster von Frau Stoffschloss. Irgendwie ist es tröstlich noch etwas für mein Baby tun zu können.

27.01.2017:

Immer mehr Menschen aus unserem Umkreis melden sich. Mein Mann und ich haben beschlossen, kein Geheimnis um den Tod unseres Babys zu machen und offen darüber zu sprechen, doch das bringt auch die Menschen mit sich, die meinen uns erklären zu müssen, dass dieses Kind bestimmt schwer krank oder behindert war und es gut ist, dass die Natur vorselektiert. Dass wir dankbar sein sollen, eine gesunde Tochter zu haben. Dass wir noch jung sind und weitere Kinder bekommen können. Ich werde immer wütender. Ich will kein anderes Kind, ich will dieses Kind. Meine Mutter wird sogar gefragt, ob ich mir im Klaren darüber sei, dass mein Kind tot ist, weil ich keine Ausschabung will.

Um 11:00 Uhr haben wir den Termin zur OP-Besprechung in der gynäkologischen Ambulanz der  Uniklinik. Mittlerweile weiß ich ganz genau, dass ich keine OP möchte. Ich will uns und meinem Körper Zeit geben, das Geschehene zu verarbeiten. Bei der Geburt meiner Tochter habe ich die Kontrolle abgegeben, doch dieses Mal wird mir das nicht passieren. Schließlich kann ich ja auch nichts mehr falsch machen. Letztendlich halten wir es trotzdem für richtig, den Fortschritt der Geburt von einem Arzt kontrollieren zu lassen und gleichzeitig abzuklären, was wir tun müssen, damit unser Kind in dem Sammelgrab beerdigt wird. Zwei Stunden vergehen, bis ich aufgerufen werde. Der Warteraum füllt sich und ich will einfach nur noch nach Hause. Der Anblick der Schwangeren und den glücklichen frisch gebackenen Eltern mit ihren Babys ist zu viel für mich. Im Behandlungsraum fragt der Arzt zuerst Informationen zu meinem Gesundheitszustand, zu Vorerkrankungen in der Familie und zu meiner ersten Schwangerschaft ab. Danach untersucht er mich und macht einen Ultraschall. Der Embryo und die Fruchthöhle sind weiterhin erkennbar, aber auch er bestätigt den Befund „Missed Abortion“ bzw. verhaltene Fehlgeburt. Er bespricht mit uns das weitere Vorgehen und die verschiedenen Möglichkeiten. Aufgrund der Schädel-Steiß-Länge empfiehlt er uns eine Ausschabung, da es bei der Ablösung zu einer größeren Blutung kommen kann. Sollte sich nicht alles vollständig lösen, würde im Nachgang eventuell trotzdem ausgeschabt werden müssen. Keime und Bakterien könnten in die Gebärmutter aufsteigen und eine Entzündung verursachen und im schlimmsten Fall zu Unfruchtbarkeit führen. Trotz all dieser Argumente vertraue ich auf meinen Körper, mein Bauchgefühl und meinem Urteilsvermögen und entscheide mich für eine selbstbestimmte Fehlgeburt. Über die Vorteile der „kleinen Geburt“ wird nicht gesprochen. Nachdem die Entzündungswerte in Ordnung sind und es mir soweit gut geht, spricht in der jetzigen Situation nichts gegen den von mir gewählten Weg. Sollte dieser Prozess nicht von alleine in Gang kommen, bestünde die Möglichkeit mit Einleitungstabletten zu unterstützen. Da ich mit diesen bei der Geburt meiner Tochter keine guten Erfahrungen gemacht habe, lehne ich diesen Eingriff ab. Schließlich stimmt der Arzt unter der Auflage einer engmaschigen Überwachung zu, auch wenn meine Wünsche nicht mit der ärztlichen Empfehlung übereinstimmen. Ich bin froh, dass ich trotzdem ernst genommen werde und niemand versucht mich zu einer Ausschabung zu überreden. Zuletzt wird noch Blut zur Bestimmung des hCG-Wertes abgenommen. Nur wenn dieser absinkt, hat der Körper erkannt, dass die Schwangerschaft nicht mehr intakt ist und beginnt mit der Abstoßung.

Auf dem Nachhauseweg besorgen wir eine größere Plastikschüssel, die ich in die Toilette stellen kann. Zu groß ist die Angst unser Kind versehentlich die Toilette hinunterzuspülen. Mein Mann entdeckt eine hübsche kleine Holzkiste, in welche wir unser Baby legen wollen. Am Abend schreibe ich eine Mail an den örtlichen Sternenkinderverein, um einen Ansprechpartner zu haben, falls ich einen brauche. Eine Antwort erhalte ich prompt und ich bin froh nun endlich noch jemanden zu kennen, der diesen Weg für sich gewählt hat. Die Geschichte dieser Familie ist unserer so ähnlich.

 

29.01.2017:

Es ist der zweite Geburtstag unserer Tochter. Bisher haben weder stärkere Krämpfe noch Blutungen eingesetzt, deshalb beschließen wir trotz der widrigen Umstände das Beste daraus zu machen. Es gibt Tiefkühlkuchen und wir haben zu wenig Kerzen für den Geburtstagszug zuhause, doch das ist nicht wichtig. Wir versuchen für uns unserer Tochter zuliebe zusammenzureißen, blasen Luftballons mit ihr auf, singen für sie und sie darf Geschenke auspacken.

Am Abend werden die Krämpfe stärker und ich hoffe, dass wir es bald überstanden haben. Die Warterei ist quälend, auch wenn wir die letzten Tage damit verbringen konnten, uns mit dem Unausweichlichen zu beschäftigen, Antworten zu suchen und uns klar zu werden, wie wir unser Kind bestatten möchten. Ich versuche meinem ungeborenen Kind viel Liebe mitzugeben und zünde viele Kerzen an.

fehlgeburt-1

30.01.2017:

Am Morgen setzen stärkere Blutungen ein, doch diese lassen auch bald wieder nach. Wir haben um 08:00 Uhr einen Termin in der Uniklinik. Zuvor haben wir unsere Tochter in die Betreuung gebracht. Die diensthabende Ärztin erkundigt sich nach dem bisherigen Verlauf, es wird Blut zur Bestimmung des hCG-Wertes abgenommen und ein erneuter Ultraschall wird gemacht. Zum 4. Mal wird bestätigt, dass es sich um eine verhaltene Fehlgeburt handelt. Rechnerisch befinden wir uns in der 11. Schwangerschaftswoche. Über das Wochenende ist der hCG-Wert von 37.000 auf 23.000 gefallen. Nachdem ich der Ärztin meine Bedenken wegen der Einleitungstabletten mitgeteilt habe, bespricht sie das Vorgehen im Detail mit uns und erklärt, dass diese in den verschiedenen Schwangerschaftsphasen ganz unterschiedlich wirken und sie bisher in diesem frühen Stadium gute Erfahrungen gemacht haben. Die Rezeptoren für den Wehentropf werden wohl erst gegen Ende der Schwangerschaft ausgebildet, somit entfällt diese Möglichkeit. Schließlich beschließe ich die Tabletten zu nehmen und bin erleichtert, dass wir es zumindest körperlich bald überstanden haben. Ich habe mich noch nie so zwiegespalten gefühlt. Einerseits möchte ich es hinter mich bringen und andererseits will ich, dass es nicht vorbei ist. Ich will mein Baby behalten.

 

Gegen 19:00 Uhr spüre ich ein leichtes Ziehen im Unterleib und merke, wie sich etwas löst. Ich rufe meinen Mann und verschwinde im Bad. In der Plastikschüssel landen Blutklumpen und unser Kind. Obwohl der Zersetzungsprozess schon eingesetzt hatte, können wir es deutlich erkennen. Besonders werden mir die kleinen, schon so perfekten Hände in Erinnerung bleiben. Vorsichtig befreie ich den Körper vom Blut und lege die sterblichen Überreste unseres Babys in die Einschlagdecke und diese wiederum in die kleine Holzkiste. Ich schreibe einen kleinen Zettel für Raphael, dass wir ihn immer in unserem Herzen bewahren werden und sehr lieben und lege ihn mit in die Holzkiste. Danach breche ich in Tränen aus und weine mit meinem Mann um unser Kind, das wir nie kennenlernen und halten dürfen. Noch vier weitere Stunden vergehen, in denen sich der Mutterkuchen und größere Gewebeteile lösen. Zum ersten Mal nehme ich freiwillig ein Schmerzmittel.

31.01.2017:

Da mein Weg ein solcher Sonderfall ist, weiß in der gynäkologischen Ambulanz der Uniklinik keiner so genau, was nun mit meinem Baby passieren soll und wie der weitere Ablauf ist. Wieder kontaktiere ich meine Ansprechpartnerin von den Frühchen, die mir schließlich das weitere Vorgehen schildert und mir sagen kann, an wen ich mich wenden soll. Doch als ich dort anrufe, sind die Ärzte und Schwestern auch überfragt. Man verspricht mir, sich zu melden. Am Abend erhalte ich den Rückruf, dass nun alles geklärt sei und ich mit meinem Baby am nächsten Morgen kommen soll. Der diensthabende Arzt verspricht mir seiner Kollegin, die am nächsten Tag zuständig ist, Bescheid zu geben. Obwohl ich den Tagesablauf in der Ambulanz mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit sehr durcheinander bringe, sind trotzdem alle freundlich zu mir.

 

01.02.2017:

Ich bringe mein Baby in die Uniklinik und ich kann die Tränen nicht zurückhalten. Ich fühle mich unvollständig und dieser letzte gemeinsame Gang fällt mir entsetzlich schwer. In der Klinik werde ich nach der Anmeldung direkt beiseite genommen. Ich übergebe die Holzkiste an die Krankenschwester, die Ärztin erkundigt sich nach meinen Beschwerden. Körperlich geht es mir gut, die Blutung hält sich in Grenzen und die Schmerzen sind erträglich. Doch psychisch geht es mir nicht gut. Ich bekomme ein Formular, dass ich ausfüllen muss und zwei Informationsblätter mit Telefonnummern von Seelsorgern und Details zu der Bestattung im Gemeinschaftsgrab der Sternenkinder. Die Kiste wird bis zur Beerdigung im Mai in der Pathologie aufbewahrt. Zweimal im Jahr findet eine solche Bestattung mit Trauerfeier statt.

fehlgeburt ausschabung missed abort

Ich habe mich für eine selbstbestimmte Fehlgeburt zuhause, an einem Ort an dem ich mich sicher und wohl fühle, entschieden. Meine Erfahrungen habe ich in erster Linie für mich aufgeschrieben, um das Ganze besser verarbeiten zu können. Doch mit je mehr Leuten ich gesprochen habe, je öfter der Satz fiel „Das wusste ich nicht…“ und umso mehr Mütter ich kennengelernt habe, die bis heute nicht damit zurechtkommen, dass ihr Baby nach der Ausschabung entsorgt wurde, umso mehr reifte der Wunsch mit meiner Geschichte dieses gesellschaftliche Tabu-Thema zu brechen. Ich möchte mit diesem Bericht  zeigen, dass betroffene Eltern eine Wahl haben. Ich möchte gerne glauben, dass dadurch der frühe Tod unseres Babys doch einen Sinn hat. Denn woher soll man wissen, was man möchte, wenn man nicht weiß, was es für Möglichkeiten gibt? 

Bei einer Ausschabung, auch Abrasio genannt, wird die komplette Gebärmutterschleimhaut operativ abgetragen. Durch die dadurch entstehende Wundfläche empfehlen die Ärzte den Paaren mit ihrem Kinderwunsch im Nachgang mehrere Wochen oder gar Monate zu warten. Zudem ist die plötzliche Hormonumstellung von „schwanger“ auf nicht mehr „schwanger“ für den Körper eine Herausforderung. Viele Frauen kennen das von Kaiserschnitten. Bei der kleinen Geburt hingegen spricht nach der abschließenden Kontrolle beim Frauenarzt ca. eine Woche nach der Fehlgeburt nichts gegen eine erneute Schwangerschaft.

 

Auch wenn mein Weg bis hier hin nicht der Leichteste war, so habe ich doch das Gefühl für mich richtig gehandelt und alles in meiner Macht stehende dafür getan zu haben, um unserem Baby einen würdigen Abschied zu verschaffen. Ich habe mit meinen Wünschen keine offenen Türen eingerannt und ich musste viele Gespräche führen. Doch die Geburt meiner Tochter hat mir den Mut gegeben, dieses Mal die Kontrolle nicht abzugeben und mein Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen. Die Woche zwischen erster Diagnose und Geburt habe ich gebraucht, um das Unvermeidliche zu begreifen und damit umzugehen. Ich hatte Zeit zum Nachdenken und zu bestimmen, was mit mir und dem Körper meines Kindes geschehen soll. Ich wollte dieses Mal nicht, dass mir andere Menschen meine Entscheidung abnehmen. Die Geburt an sich verlief komplikationslos, doch drei Tage nach der Geburt musste ich noch einmal in die Klinik, ich hatte starke Blutungen und Schmerzen. Ein Teil des Gewebes hatte sich nicht gelöst, konnte aber ambulant und ohne Eingriff mit Narkose entfernt werden. Jetzt, fünf Wochen später, haben die Blutungen aufgehört und der hCG-Wert ist wieder im Normalbereich.

 

Unser Weg mag nicht für alle der Richtige sein, im Einzelfall muss jeder für sich entscheiden, womit man sich gut fühlt. Jeder verarbeitet ein solches Erlebnis anders und jeder trauert auf seine eigene Art und Weise. Es gibt Abort-Sprechstunden, die man kontaktieren kann, in meinen Fall war das leider nicht hilfreich. Die Telefonnummern findet man im Internet. Ausschlaggebend war für uns das Gespräch mit unserer Hebamme. Im Falle einer Fehlgeburt hat man ein Anrecht auf Hebammenhilfe, die Kosten dafür tragen die Krankenkassen.

Selten wissen Frauen mit dem Befund „Missed Abortion“ bzw. „verhaltene Fehlgeburt“, dass es eine Alternative zur Ausschabung gibt und werden deshalb oft noch am selben Tag operiert, bevor sie überhaupt verstanden haben, was gerade mit ihnen passiert. Noch weniger betroffene Eltern wissen, dass ihre Sternenkinder beerdigt werden dürfen, auch wenn sie vom Gewicht und der Größe her nicht unter die Bestattungspflicht fallen. Viel zu oft werden die Babys im Nachgang an die Operation mit dem Kliniksondermüll verbrannt und entsorgt. Die Regelungen zur Bestattung sind von Bundesland zu Bundesland verschieden und müssen im Einzelfall genauer recherchiert werden. Fragen hierzu können Bestattungsinstitute beantworten. Viele größere Städte und kommunale Friedhofsträger haben in der Zwischenzeit Grabflächen eingerichtet, die auch Sternenfelder oder Schmetterlingsgarten genannt werden.

 

Liebe Alexandra, wir danken dir für deine Offenheit und sind uns sicher, dass du damit vielen Betroffenen helfen kannst. Wir wünschen dir für die Zukunft Alles Gute!