Oh weh in welch Welt werden unsere Kinder hinein geboren? Mit nicht mal (oder fast) 3 Jahren wird so viel von den Kleinen – ich schreibe bewusst „kleinen“ – erwartet:

Sie sollen sich täglich mind. 3x die Zähne putzen.
Sie sollen nicht trödeln oder gar träumen und auf keinen Fall überall stehen bleiben.
Sie sollen sich alleine anziehen können (Jacke und Schuhe) und am besten auch alleine ausziehen.
Sie sollen zuhören und im besten Falle das Gesagte 1 zu 1 eins umsetzen. 
Sie sollen den Nuckel nicht mehr benutzen, nicht einmal ein bisschen.
Sie sollen gehorchen – in jeder Lebenslage.
Sie sollen alleine ins Bett gehen und natürlich in IHR Bett.

Sie sollen gut essen, am besten Alles und nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig.
Sie sollen wissen, dass man Erwachsene ausreden lässt – dabei ist das, was sie genau jetzt sagen möchten doch soooooo wichtig.
Sie sollen wissen, dass die Strumpfhose richtig herum sitzt, wenn der eine Streifen vorne ist und die beiden anderen hinten am Po.
Sie sollen möglichst trocken sein – Windeln sind etwas für Babys.
Sie sollen möglichst freie Sätze sprechen zu jederzeit grammatikalisch einwandfrei und das zählen sollte bis 10 ohne Hürden klappen, ganz zu schweigen von den Farben.
Sie sollten Höflichkeitsfloskeln aus dem FF können und „Bitte“ sowie „Danke“ verstehen sich von selbst.

Paul und Schröder am Fenster


Okay, ich gebe zu, dass ich das da oben etwas überdramatisch reflektiert habe, aber in der Tat erwische ich mich doch ab und an dabei, dass ich Erwartungen an mein Kind stelle, die man vielleicht noch nicht stellen sollte oder vielmehr gar nicht stellen sollte, weil man das Kind damit überfordern könnte und unbewusst unter Druck setzt oder ihm das Gefühl gibt, dass es nicht so gut sei, wie es ist.

Der Sohn entgegnet mir in solchen Situationen sehr direkt: „Aber Mama, ich bin doch noch ein bisschen klein!“. In solchen Momenten fühle ich mich dann regelrecht wie wachgerüttelt und besinne mich darauf, dass er wirklich noch ein bisschen klein ist, auch wenn er gerade erstaunliche Entwicklungssprünge macht und in vielen Situationen schon wie ein „Großer“ handelt.

Ich habe mir angewöhnt einen Gang runter zu fahren und aufzuhören zu viele und vor allem zu große Erwartungen an ihn zu stellen und ich denke dann immer an die kleine Sabrina zurück: das chaotische und verträumte Plabbermaul, dass überall stehen blieb, alles anfassen wollte, ein echter Dickkopf war und imaginäre Pferdegestüter oder Blumenläden bewirtschaftete. Ja und dann schließt sich der Kreis wieder – Kinder sind unser Abbild und auch wenn wir es manchmal nicht wahrhaben wollen so ähneln sie uns so sehr. Und das Letzte, was man als Kind gewollt hätte, ist, dass einem das bisschen „Kleinsein“ genommen wird.

Bianca und Theo Bild 2014

…Es ist so wichtig, dass wir manchmal beim Zähneputzen ein Auge zudrücken, denn haben wir uns als Kinder nicht oft selbst gefreut, wenn Mama mal nicht genau hinschaute? 

… Es ist so wichtig, dass wir uns die Zeit nehmen, um stehen zu bleiben, genau hinzuschauen und die Kleinigkeiten erkennen – auch wenn wir dabei trödeln.

… Es ist so wichtig, auch den 5 Jährigen ab und an wie ein Baby anzuziehen, ihn sanft zu berühren und auf dem Arm zu tragen, denn genauso haben wir als Kinder die Nähe zu Mama und Papa gesucht.

… Es ist so wichtig, dass wir ab und an Nachsehen haben, wenn die Kinder einmal nicht zuhören, denn als wir klein waren, war uns oft anderes viel wichtiger und größer erschienen als die Stimme von unseren Eltern.

… Es ist so wichtig, dass wir beim Nuckel ein wenig Nachsehen haben und ihn nicht entreißen, hat er uns nicht auch lange Zeit begleitet und bildet eine Vertrautheit?

… Es ist so wichtig, dass wir nicht in Tobsucht ausarten, wenn Kinder einmal nicht gehorchen, denn wie gut wissen wir es, dass wir selbst so oft nicht das gemacht haben, was von uns erwartet wurde?

… Es ist so wichtig, dass wir kleinen Nachtschwärmern freundlich die Bettdecke hochhalten und sie ab und an (oder auch immer wenn sie wollen) darunter schlüpfen lassen. Wir wissen selbst, dass es soooo gut tut ganz nah bei Mama zu sein.

… Es ist so wichtig, dass wir das Essen nicht hineinstopfen oder Süßes grundsätzlich ausschlagen. Haben wir als Kinder immer brav gegessen und Schokolade bestimmt abgelehnt?

… Es ist wichtig, dass man den Kindern zuhört, denn auch wenn es belanglos klingt, so ist es doch manchmal von großer Bedeutung für sie. Wir selbst wissen, wie es sich anfühlt, wenn man als Kind etwas sagen möchte und keiner dem Beachtung schenkt.

…Es ist so wichtig, dass die Strumpfhose hin und wieder verkehrt herum sitzen darf, denn wir wissen selbst, wie stolz es unsgemacht hat, dass wir uns selbst anziehen konnten.

… Es ist so wichtig, dem windelfrei Zeit zu geben, denn wir wissen selbst, dass Druck fürchterlich ist und sich viele „Problemchen“ ganz von alleine lösen.

… Es ist so wichtig den Kindern Zeit zu geben und keinen Wettbewerb zu betreiben. Wir wissen selbst, dass es sich gut anfühlt so geliebt zu werden, wie man eben ist und für das geschätzt zu werden, was man kann.

… Es ist so wichtig, dass wir nicht aus der Haut fahren, wenn das „Danke“ einmal ausbleibt. Wir selbst wissen doch, dass es manchmal eine große Hürde ist jemand Erwachsenen etwas zu sagen und wir wissen auch, dass der Kopf der Kleinen so voll mit bunten Sachen ist, dass solche Sachen einfach einmal in Vergessenheit geraten können.

Ich möchte mit diesen Zeilen keinesfalls eine „Du-kannst-machen-was-du-willst-Erziehung“ gut heißen, aber dennoch finde ich, dass wir viel zu oft außer Acht lassen – ja geradezu vergessen, dass wir selbst einmal „noch ein bisschen klein waren“ und dementsprechend unsere Kinder wie kleine Erwachsene heranziehen möchten – sei es aufgrund „toller“ Ratgeber, „toller“ Mamis oder anderen „tollen“ Medien, die uns einbläuen zu funktionieren.

Und ich merke es jetzt besonders, denn er ist nun der „Große“ und man setzt plötzlich – idiotischerweise total unbegründet – bestimmte Dinge voraus, die man vorher nicht so genau genommen hätte. Es treibt mir dann manchmal das schlechte Gewissen hoch, wenn ich daran denke, was ich dem „kleinen großen Bruder“ und ja, das ist er – hin und wieder zumutete und welche Erwartungen ich an ihn stellte.

Deshalb ist es eben soooo wichtig sich zu erinnern und mit dieser Besinnung kann ich mit Stolz behaupten: meine Kinder sind nicht perfekt – ich bin es auch nicht (manchmal sogar viel weniger), aber wir sind verdammt glücklich!