Leserin Martina von Lieblingspauli berichtet heute über ihren Weg zur Brille mit einem Klein(st)kind. 

Als wir zum ersten Mal beim Augenarzt sitzen, ist Paul noch keine zehn Monate alt. Ich sage bewusst „sitzen“, denn wir sitzen lange. Trotz Kindersprechstunde und fest vereinbartem Termin. Das Wartezimmer ist gut gefüllt, der Geräuschpegel entsprechend hoch. Ich bin nervös und gleichzeitig irgendwie gelassen. Ein Kontrolltermin, nichts weiter. Würde der kleine Mann tatsächlich schlecht sehen, hätten wir das doch längst bemerkt.

Ein kurzer Rückblick

Wenige Wochen nach Pauls Geburt bemerken wir, dass sein Köpfchen an der Seite abflacht. Erst ein wenig und dann ziemlich schnell ziemlich viel. Ich mag das Wort Plattkopf nicht, aber es veranschaulicht die Thematik erstaunlich gut. Außerdem klingt Plagiozephalie, wie es der Kinderarzt nennt, auch nicht besser. Wir rennen also vom Kinderarzt zum Osteopathen, gehen brav zur Physio und haben ein spezielles Kissen mit einer Aussparung in der Mitte. Und siehe da, die Therapie zeigt erste Fortschritte! Pauls Köpfchen wird zunehmend runder, und wir atmen durch – endlich. Wer Plagiozephalie einmal im Zusammenhang mit Folgeschäden gegoogelt hat, wird wissen warum. Um auszuschließen, dass die Sehfähigkeit unter der Verformung des Schädels gelitten hat, werden wir zum Augenarzt überwiesen. Reine Formsache, sicher ist sicher.

Brille bei Kindern Erfahrungsbericht

 

Es dauert fast eine Stunde, bis wir endlich aufgerufen werden

Der kleine Mann hat Hunger und ist ungeduldig, aber die Arzthelferin ist sehr nett und findet glücklicherweise schnell einen Draht zu Paul. In der sogenannten Sehschule sitzt Paul auf meinem Schoß, beobachtet bunt blinkende Dinos, die um seinen Kopf herum tanzen und darf auf einer Art Hologramm-Karte nach Gegenständen greifen. Zuletzt wird im abgedunkelten Raum noch eine Aufnahme von seinen Augen gemacht – eine Aufnahme, die schnell zeigt, dass wohl doch nicht alles so ist, wie wir gehofft hatten.

Bis wir endlich ins Sprechzimmer vorgelassen werden, verstreicht wieder jede Menge Zeit – Zeit, die ich nutze, um zu stillen, zwangsläufig. Die Ärztin ist freundlich, aber gestresst und verliert nicht allzu viele Worte. Alles geht schnell, schnell, und als ich nach gut fünf Minuten die Tür hinter mir schließe, bin ich ratlos. Fakt ist, wir werden erst mal abwarten. Abwarten und Tee trinken.

Der nächste Termin ist im Januar, Paul ist gerade ein Jahr alt geworden. Trotz der Zusicherung, dass sich die Wartezeit diesmal im Rahmen halten würde, dauert es eine kleine Ewigkeit. Doch wieder haben wir Glück: die Orthoptistin, die den kleinen Mann heute untersuchen wird, findet scheinbar genau die richtigen Worte. Paul fasst schnell Vertrauen, nimmt ihre Hand, und gemeinsam laufen die beiden zur Sehschule. Ich staune. Die Untersuchungen sind dieselben wie beim letzten Mal. Alles unbeschwert und kindgerecht, alles ein Kann und kein Muss. Trotzdem zeigt sich der kleine Mann eher unkooperativ. Das macht aber nichts, denn wir verlassen den Raum mit einem „Also normalerweise wartet man da erst mal bis zum zweiten Lebensjahr ab“. Mir fällt ein Stein vom Herzen.

Im Sprechzimmer werden wir wie gehabt in Windeseile abgefertigt. Freundlich, aber ratzfatz. Wenn Paul nicht mitmacht, dann eben nicht. Ich ziehe die Tür hinter mir zu und muss erst mal schlucken. In der Hand halte ich pupillenerweiternde Tropfen mit einer kurzen Erklärung zur Anwendung. Fakt ist: Paul braucht eine Brille. Möglichst sofort. Und Fakt ist auch: ich bin verwirrt und fühle mich allein gelassen. Wie in Trance mache ich den nächsten Termin aus. Einen Termin, den ich kurz darauf wieder absagen werde.

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Eine Zweitmeinung einholen

Mein Mann und ich sind uns einig: wir holen uns eine Zweitmeinung ein, auf jeden Fall noch vor dem Termin mit den pupillenerweiternden Tropfen. Die Praxis, in der wir landen, ist riesig, aber das Praxismanagement scheint zu funktionieren: die Wartezeit hält sich in Grenzen. Die Untersuchungen, die die Orthoptistin durchführt, kennen wir schon. Paul hat offensichtlich einen guten Tag und macht prima mit. Leider bestätigt sich an diesem Tag die Diagnose Brille – mit dem Unterschied, dass wir keine offenen Fragen haben, als wir die Praxis verlassen.

Der kleine Mann ist weitsichtig, wie so viele andere Kinder in seinem Alter auch. Die Fehlsichtigkeit ist nicht besonders stark ausgeprägt und wird sich mit der Zeit verwachsen. Das ist also nicht der (vorrangige) Grund für die Verordnung der Brille. Ausschlaggebend ist letztlich Pauls Hornhautverkrümmung, die auf der einen Seite sehr viel stärker ausgeprägt ist als auf der anderen. Ob das wirklich in Zusammenhang mit dem Plattkopf steht, ist fraglich, aber es spielt auch keine Rolle mehr.

Wie groß die Sehschwäche tatsächlich ist, erfahren wir zwei Wochen später. Ich bin unruhig, wahrscheinlich übertrage ich meine Nervosität auf den kleinen Mann. Auf jeden Fall bekommt er heute Tropfen, die die Pupillen erweitern, sodass die richtige Dioptrienzahl bestimmt werden kann. Eine der Arzthelferinnen übernimmt das Tropfen, wofür ich sehr dankbar bin. Als Mama muss ich nur da sein, mehr nicht. Und Paul macht seine Sache wirklich gut. Nur dieser Apparat, vor dem er still sitzen und sein Kinn ablegen soll, ist ihm nicht geheuer. Paul schreit und schreit und lässt sich gar nicht mehr beruhigen. Wir brechen die Untersuchung ab. Dass wir die Praxis trotzdem mit einem Rezept verlassen, grenzt an ein kleines Wunder (oder ist einem geduldigen Arzt zuzuschreiben).

Ich habe nie daran gezweifelt, dass Paul irgendwann eine Brille benötigen würde. In der fünften Klasse vielleicht oder noch später. Immerhin tragen Mama und Papa auch eine Brille. Aber so früh schon? Mein makelloses Baby mit einer Brille? Ich kann und will mir das nicht vorstellen. Klar, eine Brille ist kein Weltuntergang, aber ich habe tatsächlich Schwierigkeiten, mich mit dem Gedanken abzufinden. Würde nicht jeder sofort denken, der kleine Mann wäre irgendwie zurückgeblieben?

Brille für Kleinkinder

 

Auf zum Optiker

Mit dem Rezept in der Tasche machen wir uns ein paar Tage später auf zum Optiker unseres Vertrauens. Doch wir sind schnell ernüchtert. Vor uns liegen genau zwei Brillen. Pest und Cholera, wenn man so will. Die eine in Babyblau, aus dickem Kunststoff, die andere aus Metall und mit einem unschönen Sattelsteg aus Silikon. Beide ein absolutes No-Go. Mein Herz schreit ganz laut Nein, aber wir probieren die Brillen trotzdem auf. Haben wir denn eine andere Wahl? Paul schreit, Mama ist frustriert, Papa wahrt Neutralität, wir gehen.

Beim nächsten Optiker ist die Auswahl im Bereich Baby und Kleinkind ähnlich groß wie zuvor. Und schlimmer noch: wir treffen wieder auf den Traum in Babyblau. Immerhin finden wir diesmal eine Brille, die geht. Soll heißen: sie passt. Schön ist anders. Vielleicht bin ich ja zu anspruchsvoll, aber mich stören die lustigen Tierspuren auf dem Bügel. Und dieses riesige Silikonteil auf der Nase auch – das am meisten.

Als Paul an diesem Abend im Bett ist und ich mehrere Stunden lang erfolglos das Internet nach einer passenden Brille durchforstet habe, fließen Tränen. Wie jede Mama will ich doch nur das Beste für mein Kind. Das Beste ist in diesem Fall Normalität, ein Sich-in-die-Gesellschaft-Einfügen, kein Auffallen. Eine dezente Brille, die nicht zu sehr aufträgt, möglichst einfarbig. Kindgerecht. Ich werde nicht fündig. Auch mein Mann nicht, der weit nach Mitternacht noch surft. Dass das Gute manchmal näher liegt, als man denkt, ist uns in dieser Nacht nicht bewusst…

Optiker Nummer drei ist für uns das ganz große Glück. Wir werden nicht nur fachlich kompetent beraten und fühlen uns vom ersten Moment an sehr wohl, sondern finden auch das, wonach wir so lange gesucht haben: Pauls allererste Brille! Das Gestell wurde speziell für Kinder ab drei Monaten entwickelt, ist super flexibel, gleichzeitig aber zart und zurückhaltend. Es fügt sich perfekt in das kleine Gesichtchen ein. Schnell ist klar, dass es diese Brille sein soll. In einem
Farbton, der ganz nah bei Babyblau liegt und trotzdem kein Vergleich ist.

„Ich will ihnen da nichts vormachen“, sagt der Optiker, als wir die Brille ein paar Wochen später abholen. „Sie werden durch die Hölle gehen.“ Wir sollen Paul loben, wenn er die Brille trägt, aber auf keinen Fall bestrafen, wenn nicht. Wir durchdenken die verschiedensten Situationen, überlegen, wie wir am besten mit dem Thema umgehen sollen. Und dann macht es uns der kleine Mann ganz leicht. Er akzeptiert die Brille vom ersten Tag an. Ganz ohne Probleme. Er rennt und tobt, springt durch Pfützen, strahlt mit der Sonne um die Wette. Er ist jetzt unser kleiner Professor.

Erfahrungsbericht Kleinstkind mit Brille

 

Ein paar Monate später

Ein spätsommerlicher Nachmittag im September. Paul wird bald zwei Jahre alt, und wir schlendern gemütlich über den Flohmarkt an der Sandbahn. Der kleine Mann ist ein Kind wie jedes andere – denken wir. Aber es gibt auch andere Meinungen: „Oh mein Gott, das ist ja furchtbar! So klein und schon eine Brille!“, ruft eine der Verkäuferinnen. Wir lächeln und gehen weiter. Wäre es nicht viel furchtbarer, wenn wir nichts gegen Pauls Sehschwäche unternommen hätten?