Der Große ist oft überschwänglich, sehr offen, kontaktfreudig, schlägt manchmal über das Ziel hinaus, vielleicht nervt er schnell ein bisschen, hängt sich sehr an Kontaktpersonen, möchte gemocht werden und gut ankommen. Er ist wie ich. Wir sind uns so ähnlich und ich weiß zu gut, was sich in ihm abspielt. Und trotzdem habe ich da diese Angst. Die Angst, dass er fällt, dass er verstoßen wird, dass er mit seiner überschäumenden Art „to much“ sein könnte und hart einstecken muss, weil er im Umkehrschluss Distanz und Ablehnung erfahren könnte. Kaum merkbar passiert es, dass mich diese Ängste überfahren und ich versuche seine Aufregung und Begeisterung auszubremsen und ihn zu verdeutlichen, dass sein „Wie du eben bist“ anderen Menschen nicht gefallen könnte. Abends, wenn ich zur Ruhe komme, ärgere ich mich bereits über meine Gedanken und die Tatsache, dass ich in meinem Kopf Bilder male.

Der Mittlerer ist bei Neuem oft zurückhaltend, er gibt sich dann entweder sehr schüchtern oder formiert zum kleinen Clown. Auch da habe ich Angst, dass es falsch gedeutet wird. Er ist so klar in seiner Art, dass ich Angst habe, dass er einst gebrochen wird und gegen seinen Willen gezwungen wird. Bei der Kleinen habe ich die Angst, dass ihr Tatendrang und Mut ihr zum Verhängnis wird, dass sie sich verkalkuliert und fällt. Ich habe Angst, dass sie im Leben Narben davon tragen wird, die man hätte vermeiden können.

Zu schlecht und falsch für wen oder was?

Kurzum: Bei jedem Kind habe ich verschiedene Ängste und erkenne mögliche Verhaltensweisen, die unvorteilhaft sein könnten oder zumindest ein Hindernis bilden könnten im Falle des Falles. Der Clou an dieser Sache ist: Meist entspringt meine Denkweise Glaubenssätzen, die ich als Kind vermittelt bekommen habe, nicht einmal von der Familie, aber von meinem Umfeld. Ich war ein sehr lebendiges Kind, aufgeschlossen und neugierig. Ich war also „zu wild“, „zu quasselig“, „zu aufgedreht“, „zu ungestüm“ und „zu unvorsichtig“. Die Frage ist für wen oder was war ich das? Für mein Umfeld? Für das Ideal eines Mädchens in meinem Alter? Für die Gesellschaft? Für den Prototyp-Mensch? Leider sitzen diese Glaubenssätze dennoch in mir fest und ich bin dabei diese Stück für Stück abzubauen. Fakt ist, dass ich einfach so war. Es gab Situationen, da habe ich mich angepasst und doch war es in dem Moment nicht so ganz ich.

Und nun mache ich es nicht anders…

Auch, wenn vielleicht einige meiner Ängste ihre Berechtigung haben mögen, erwische ich mich dabei, dass ich mich von ihnen leiten lasse und sie auf meine Kinder übertrage. Meine guten und schlechten Erfahrungen münze ich bewusst und auch unbewusst auf die Kinder. Ich glaube ganz und gar lässt sich das nicht vermeiden und die Geschichte, die wir ins uns tragen mit all ihren Erfahrungen hat durchaus ihre Berechtigung. Gefährlich wird es aber dann, wenn wir anfangen willkürliche Gebote und Verbote aufzuerlegen aus unseren Ängsten heraus.

Möchte man ein Beispiel aus dem Alltag greifen: Es gibt Eltern, die zwingen aus ihrer Angst heraus, dass aus dem Kind nicht werden könnte, den Sprösling dazu in den Ferien zu lernen und unter der Woche Extraufgaben zu üben. Manche Eltern haben schlechte Erfahrungen mit Hunden gemacht und übertragen diese Gefühle 1zu1 auf ihr Kind, indem sie die Botschaft vermitteln, dass Hunde grundsätzlich gefährliche Bestien seien. Und dann sind wir bei meinem Beispiel: Die Angst so nicht angenommen zu werden, wie man ist und schon vermittelt man seinem Kind, dass es doch besser wäre sich anzupassen, etwas auf Distanz zu gehen, die Freude ein wenig gedämpfter rauszulassen.

Wir beugen also Umstände vor, von denen wir gar nicht wissen, dass sie eintreten (ich rede an dieser Stelle nicht von Gefahrensituationen).

Die Angst vor der Gesellschaft: „Was könnten denn die Leute denken?“

Die wohl gefährlichste Angst in uns, ist jedoch die Angst vor der Gesellschaft. Wir haben diesen unheimlichen Druck zu funktionieren, nicht aufzufallen und uns so unauffällig wie möglich durchs Leben zu bewegen. Ein Kind, dass in der Öffentlichkeit einen Wutanfall bekommt, den die Eltern dann mitunter vielleicht nicht einmal regulieren können, ist das Horrorszenario schlecht hin. Und obwohl wir wissen, dass schlechte wie gute Gefühle zum Leben gehören, schämen wir uns und haben Angst vor Ablehnung und negativen Reaktionen. Wir neigen also dazu außerhalb unseres vertrauten Umfelds in Alarmbereitschaft zu sein. Früher reagierte ich in der Öffentlichkeit vollkommen anders, als in den eigenen vier Wänden. Ich glich bei Konflikten mit meinen Kindern einem Mäuschen, dass herum piepste. Funktionierte das nicht, drohte ich Konsequenzen an. Ich glaube ich muss kein Geheimnis drumherum machen, dass meine Taktik niemanden half und die Situation immer nur verschärfte.

Irgendwann habe ich für mich begriffen, dass wir realistisch betrachtet niemanden (und schon gar nicht Wildfremden) gefallen müssen und durch das Spiel mit unseren Ängsten eigentlich nur erreichen, dass wir unseren Kindern vermitteln „Du bist, so wie du bist, nicht okay. Pass dich gefälligst an.“ Überspitzt gesagt treiben wir sie also dazu an, sich manipulierbarer zu machen und von tiefen Überzeugungen abzuweichen, um bequem zu bleiben. In manchen Situationen mag das okay sein, aber in der Mehrheit möchte ich keinen Menschen heranziehen, der sich verstellen muss, um durchs Leben zu kommen und dann womöglich mit Schrecken feststellt, dass er nicht sich selbst sein darf.

Die Lösung habe ich darin gefunden, bei aufkeimenden Bedenken und Ängsten ernsthaft in mich zu gehen und zu suchen, woher sie überhaupt stammen. Häufig sind es Gefühle, die ich damit verknüpfe und Erfahrungen, die ich gemacht habe, aber genau genommen nicht auf mein Kind übertragen kann. Es tut mir gut, die Angst vor ernsthaften Gefahren von der Angst vor Ablehnung zu unterscheiden. Darüber hinaus hilft es mir, mir immer wieder bewusst zu machen, dass diese Angst MEINEN Glaubenssätzen entspringt und beispielsweise mein Partner diese schon wieder ganz anders wahrnimmt.

Eines habe ich mir fest geschworen: Ich lass mir von meinen Ängsten auf keinen Fall meine Erziehung / Beziehung zum Kind versauen und ich höre auf damit jedem Menschen gefallen zu wollen, wenn das erfordert, dass ich mich verbiegen muss.

 


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